Blick in den Abgrund

A / 2013 / Dokumentarfilm / 86 min

 

What has been seen cannot be unseen: Gesehenes kann man nicht ungesehen machen. Die Protagonistinnen und Protagonisten von BLICK IN DEN ABGRUND sind Profiler, forensische Psychologinnen und Psychiater. Sie mussten Unfassliches anschauen und sie werden weiterhin dort die blutigen Details erfassen, wo die Öffentlichkeit außen vor bleibt: Sie haben mit grausam misshandelten Opfern zu tun. Und mit den Seelenleben der Täter, denen sie auf die Spur zu kommen suchen. Welcher Abgrund tiefer ist, lässt sich nicht ermessen. Und welcher tut sich erst im eigenen Verstand auf, nach all den Jahren, die man in der Gedankenwelt von Serienmördern und Vergewaltigern verbringt? Barbara Eder zeigt uns faszinierende, mutige Menschen, die einen intimen Blick in ihre Welt erlauben.

„Das Meer verschlingt alle Geheimnisse, sagt man, aber das stimmt nicht immer“: Helinä Häkkänen-Nyholm, forensische Psychologin aus Helsinki, spricht konkret über eine in einen Teppich eingewickelte und versenkte Leiche, die eines Tages wieder an die Oberfläche stieg. Sie wird gefragt, ob sie so sei wie Jodie Foster in „Das Schweigen der Lämmer“. Ja, ein bisschen. Und auch wieder nicht. Mit Thrillern hat der Alltag von Profilern wenig gemein.

Profiler Gérard N. Labuschagne aus Johannesburg spricht über sein Kantinenessen gebeugt vom „Übertöten“ von Menschen, von exzessiver Gewalt, die über das „normale“ Tötungsdelikt hinausgeht. Gérard war erst 29, als er den Job als Leiter der Einheit antrat. Seine Vorgängerin hatte das Handtuch geworfen – zu wenig Distanz zum Beruf. Seither hat er sich mit rund 80 Serienmördern und 200 Vergewaltigungsserien befasst. Drei skelettierte Leichen warten in einem offenen Feld auf Aufklärung. Und ein Verfahren auf seine Expertise: Die Fotos zum Fall erträgt nicht jeder.

Helen Morrison, forensische Psychiaterin aus Chicago, befasst sich seit fast 40 Jahren mit Serienmördern. Manchmal findet sie den juristischen Beamtenapparat genauso frustrierend wie die Täter. Eines hat sie gelernt: Mord ist keine Sache der Gesellschaftsschicht, hat nichts mit dem kulturellen Hintergrund, dem Einkommen oder der Kindheit zu tun. Ist also jeder dazu im Stande? Sie sucht in durchaus nicht überall gern gesehenen Versuchsreihen nach Anomalien im Gehirn von Serienmördern. Gefunden hat sie bis dato noch keine. Die traurige Wahrheit: Mörder sind wie wir.

„Das Schweigen der Lämmer“ kennen Roger L. Depue und Robert R. Hazelwood, beide pensionierte FBI-Profiler, in- und auswendig. Autor Thomas Harris hat sie seinerzeit für die Buchvorlage interviewt. Anthony Hopkins ist der Beste, finden sie. Morde in Serie lassen sie noch immer nicht los: Sie führen eine Firma, die so genannte „cold cases“ löst. Roger selbst sieht die Bedrohung überall: Er schützt sich mit einer Alarmanlage sowie einem elektrischen Zaun vor seinem Haus und trägt immer eine 9mm-Pistole bei sich. Es ist ihm unverständlich, wieso nicht jeder einen Hund hat und immer Fenster und Türen versperrt.

Stephan Harbort sitzt im Zug von Düsseldorf nach Berlin. Der Experte für Täterprofile blättert in dicken Aktenordnern, spricht den Tathergang auf sein Diktiergerät und irritiert damit anwesende Fahrgäste. Noch immer kann er nicht verstehen, wieso der Täter sein letztes Opfer am Leben ließ, ihm sogar persönliche Details erzählt hat, die kurze Zeit später zu seiner Festnahme führten. „Die meisten Menschen wissen doch gar nicht, wozu sie überhaupt fähig sind“, sagt der überführte Vergewaltiger und Mörder. Stolz liegt darin keiner, Reue auch nicht. „Tot ist gut“, sagt der Mörder.

Was macht manche Menschen zu Mördern, andere nicht? Auch wenn sie die meisten Fälle klären, diese Frage bleibt den Profilern immer. Gérard N. Labuschagne meint lakonisch: Wir haben mit Mördern mehr gemein, als nicht. Wenn sie nicht morden, gehen sie einkaufen, fahren Rad, gehen in die Arbeit. Diese Einsicht ist es wohl, die alle Profiler wirklich lange verfolgt, ein Wissen, das sie vom Rest der Bevölkerung, der sich durch eine einfache Trennung in Gut und Böse sicher wähnt, unterscheidet. „Freude und Glück hat man bei dieser Arbeit selten“, sagt Helinä Häkkänen-Nyholm. „manchmal fühlt man sich klein bei der Frage nach dem Warum“.

In Südafrika werden unterdessen die blutigen Reste mit dem Schlauch vom Seziertisch gespült. Nicht zum letzten Mal.

  • Regie
    Barbara Eder
  • Buch
    Barbara Eder
  • Kamera
    Hajo Schomerus
  • Schnitt
    Dieter Pichler, Rosana Saavedra Santis
  • Ton
  • Sound Design
  • Produktionsfirma
    Prisma Filmproduktion, Belle Epoque Film
  • Verleih
    Thimfilm