WANKOSTÄTTN - Ein Überlebender erzählt

A / 2023 / 37 min

 

In hellem Anzug mit elegantem Hut und Krawatte steht Karl Stojka auf der Quellenstraße in Favoriten, einem ehemaligen Arbeiterbezirk in Wien. Wir folgen dem Sog seiner Erinnerungen. Der kurze Dokumentarfilm Wankostättn basiert auf Interviews, die Karin Berger 1997 mit Karl Stojka geführt hat. Als zwölfjähriges Kind wurde er 1943 mit seinen fünf Geschwistern in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Er hat überlebt, so wie seine jüngere Schwester Ceija Stojka, die Karin Berger schon früher in zwei berührenden Filmen porträtiert hat. Der aktuelle Film ist das Ergebnis einer langen, freundschaftlichen Verbundenheit der Filmemacherin mit Ceija und Karl Stojka und ein einzigartiger Film über einen verschwundenen Erinnerungsort.

Im Gehen erzählt Karl Stojka von diesem Ort, von seiner Kindheit auf der „Wankostättn“ in Wien, wo sich bis 1941 ein großer Lagerplatz der Roma:nja und Sinti:zze befand.

Auf schwarzweißen Fotos, die von den Nationalsozialisten zur Erfassung gemacht wurden, sind die Lagerwiese, die Pferdewägen, vor allem Kinder und Frauen zu sehen. Durch die erzählten Erinnerungen werden die im Film nur kurz gezeigten Bilder der „Wankostättn“ in ein starkes, eigenes Erinnerungs-Bild von Karl Stojka übersetzt.

Wenn die Kamera alltägliche Straßenszenen, graue Wohnbauten oder parkende Autos mit ins Bild nimmt, während Karl Stojka von Pferdewägen, der Einsperrung und dem gewaltsamem Verschwinden seiner Familie, aber auch von gutem Einvernehmen mit vielen Wiener:innen erzählt, bekommt das (Über)Leben von Geschichte in der Gegenwart des unsichtbaren Antiziganismus ein unheimliches Gesicht.

Im letzten Teil des Films erinnert sich Karl Stojka in der Intimität seines Wohnzimmers an seine Befreiung als 14-Jähriger auf dem Todesmarsch aus dem KZ Flossenbürg. Er zeigt der Filmemacherin und dem imaginierten Publikum ein von ihm gefertigtes künstlerisches Objekt, einen Helm in dem eine Hacke steckt. In dieser visuell und dramaturgisch spannenden Schlußsequenz wird das Verhältnis von Täter:innen und Opfern, von Überleben und Vertrauen, von Handlungsmacht, Beglaubigung und Weitergabe noch einmal souverän aufgespannt. Die Kamera macht einen Raum frei für die unsichtbare Realität von Geschichte.
(Monika Bernold)