Stillstand

Gedehnte Zeit legt sich über leere Räume. Reglose Flugzeuge, auf autofreien Straßen weht Absperrband im Wind. Es sind Bilder einer bekannten Fremde, die mit Sorgsamkeit den Krisenzustand nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Österreich dokumentieren. Im Spannungsverhältnis von Bewegung und Stille, Alltag und Ausnahme wird Stillstand zu einem Zeitdokument, das die unausweichliche Frage stellt, was vom Erlebten geblieben ist.

Gedehnte Zeit legt sich über leere Räume. Entfremdeter Alltag. Auf dem Flughafen parken reglose Flugzeuge, auf autofreien Straßen weht Absperrband im Wind, im Gottesdienst predigt der Pfarrer in einer verlassenen Kirche. Plätze, die durch Bewegung geprägt waren, rasten in der Stille.

Diese Aufnahmen wie aus der surrealen Inszenierung einer Dystopie entpuppen sich als reales Echtzeitdokument. Es sind Bilder einer bekannten Fremde, die mit Sorgsamkeit und Geduld zwischen März 2020 und Dezember 2021 in Österreich entstanden sind und den Krisenzustand nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie dokumentieren. Restriktive Massenquarantäne, Lockdowns, Reiseverbote, Beschränkung von Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Während die Bevölkerung in einer Starre verharren soll, wird über den Systemerhalt diskutiert. Rückblick auf einen historischen Moment, der Vertrauen wie Befremdung auslöst. Verdrängte Erinnerungen über ein Zeitfenster geprägt von Bewegungslosigkeit. Ist all das tatsächlich vor kurzer Zeit passiert?

Nikolaus Geyrhalter nimmt sich dieses suggerierten Stillstands an, stellt ihn infrage und legt schließlich die Bewegung in der vermeintlichen Starre akribisch frei. Denn als die Bevölkerung zum Stillstand angehalten wird, tun sich gleichzeitig neue Bewegungsabläufe auf: Räume werden umfunktioniert, Möglichkeiten für Austausch und Begegnung neu installiert. Formen der Intimität entstehen, Gemeinschaften bilden sich. Es sind Momente, die neue Fragen an eine gemeinsame Zukunft formulieren. Die Dokumentation fördert dabei bislang Ungesehenes und Unbeachtetes zutage: Zukunftsutopien, neue Ängste oder Freuden, einen die Gesellschaft spaltenden politischen Rechtsruck.

Geyrhalters präzise Beobachtungen und intensive Gespräche ermöglichen eine Gegenerzählung zur schnellen Berichterstattung der Massenmedien, befreien Menschen aus Statistiken und halten individuelle Erfahrungen fest. Ein Zeitdokument für die Zukunft, das die unausweichliche Frage stellt, was vom Stillstand geblieben ist und schlussendlich bleiben wird. (Lisa Heuschober)