der wackelatlas – sammeln und jagen mit H. C. Artmann

A / 2001 / Dokumentarfilm / 60 min

 

Wer den Schriftsteller nicht beim Wort nimmt, wird ihm nicht nahekommen. der wackelatlas, ein letztes Porträt des großen H.C. Artmann, zeugt von diesem Wissen: Das Sprachliche prägt alles hier, vom Einstieg bis zum Epilog, es gibt der Erzählung ihren Puls und ihre Linien. H.C. Artmann in seiner Wohnung in Wien, im Herbst 2000 heiser schon, ein wenig zitternd, aber bei intaktem Witz und in guter Gesprächslaune: Das Blau seiner Augen strahlt, und er erzählt von der Erinnerung, vom Geruch und der Musik.

Die jähen Bewegungen, die dieser Film wagt, sind allesamt gedanklich, sprachlich. Die Ruhe seines Blicks kann sich der Film daher leisten.

Der Artmann-Film ist, obwohl Tochter Emily und Nichte Katharina ihn inszeniert haben, nur zum Teil ein Familienbild und alles andere als ein home movie.

Die Intimität der Situation ist spürbar, die Annäherung liebevoll, aber es geht nicht um den Menschen hinter der Kunst, sondern entschieden um die Kunst und wie sich der Mensch in ihr bewegt. der wackelatlas ist eine überaus kontrollierte Arbeit, sparsam in ihren Mitteln, konzentriert auf ihr Zentrum. „Ich möcht ja kein Abbild des Lebens geben“, stellt Artmann klar und: In seinen Gedichten soll „keine Moral dazwischen“ sein. Der Film vollzieht das nach, begreift sich selbst als künstlich und hält sich mit dem Pathos der Moral gar nicht erst auf.

Der drängenden Sinnlichkeit der Sprache Artmanns, die im zwanglosen Gespräch ebenso manifest wird wie im Textbild, halten die Filmemacherinnen wieder das Wort entgegen.
In neun Kapiteln, mit jeweils drei Begriffen betitelt, erzählen sie (verdichtend, dichterisch) von einem, der das verdichtete Erzählen so weit getrieben hat. Hans Carl Artmann: beim Wort genommen.

Text: Stefan Grissemann